Dat gibbet nur bei uns!

Fußball ist bei uns im Ruhrgebiet nicht nur unsere liebste Wochenendbeschäftigung, sondern vor allem das Feld, auf dem wir unsere Rivalitäten ausleben. Als Außenstehender kann man sich das nicht vorstellen, was das heißt und zu welchen Konflikten das führen kann. Da gönnen die Blau-Weißen den Schwarz-Gelben nicht den Kohlenstaub in der Arschritze, und zwischen dem einen Blau-Weiß und dem anderen Blau-Weiß ist es auch nicht besser. Bisweilen geht der Riss mitten durch die Familie.

Von einem besonders schlimmen Schicksal mussten wir erst kürzlich bei uns in Block B hören. Das erste Heimspiel der neuen Saison dient ja immer dazu, sich gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen, was die eigene Entwicklung in den letzten Monaten angeht. Zwischendurch geht immer einer Bier holen und zeigt sich gerade zu Beginn der Spielzeit besonders spendabel, wegen der Euphorie und des schönen Wetters und um einen guten Eindruck zu machen. Einen neuen Rekord stellte indes ein Sportkamerad auf, der intern »der Cherusker« genannt wird. Mit nicht weniger als zwölf Getränken auf den Händen kam er plötzlich vom Bierstand zurück, sieben in der linken, fünf in der rechten Hand, immer ordentlich die Bechergriffe ineinandergestellt. Fröhlich lachend verteilte der Superkellner das kostbare Nass unter den Dürstenden.

»Schönen Dank auch«, sprachen wir, »aber was ist los?«

»Jungs, ich bin im Juli Vatta geworden!«

Selbstredend hatte der Cherusker den Zeitpunkt der Empfängnis so abgepasst, dass die Niederkunft zwischen die Spielzeiten fallen musste. Da galt es dann nur noch Trainingslager und Testspiele im Auge zu behalten, aber ein Restrisiko bleibt eben immer.

»Saubere Arbeit«, hieß es, und: »Planung is eben allet im Leben!«

Doch das Lachen blieb uns allen im Halse stecken, als wir erfuhren, welch schlimmes Schicksal den Cherusker, vor allem aber seinen Nachwuchs ereilt hatte. Sein Humor war nur noch eine maskenhafte Fröhlichkeit im Angesicht des Grauens, und mittlerweile fragen wir uns alle, wie man unter diesen Bedingungen überhaupt leben kann. Aber der Reihe nach.

Zunächst lief alles prima. Während der Schwangerschaft wurde der Cherusker, ein ebenso leidenschaftlicher wie kenntnisreicher Biertrinker und eben deshalb kompromissloser Anhänger der örtlichen Marke, von seiner Frau gefragt, ob er etwas dagegen hätte, den gemeinsamen Sohn nach dem Gründer ebendieser Brauerei zu nennen. Fairerweise sei gesagt, dass ihr diese Parallele nicht klar war. Die Tür, die sie einrannte, war allerdings weit geöffnet. »Ein Sohn, der heißt wie dein Bier!«, hieß es bei uns im Block nicht ohne Neid. »Datt kann man sich merken!«

Nun kam der Bengel an einem Sommermorgen um 8:30 Uhr auf die Welt. Gegen elf Uhr am gleichen Tage wurde der Bruder des Cheruskers auf der Geschäftsstelle des VfL vorstellig, um das Kind ordnungsgemäß anzumelden. Kurz darauf der Schock: Er war zu spät gekommen. Schon eine Stunde zuvor hatte die Schwiegermutter (!) das Kind bei Schalke 04 angemeldet! Noch nicht standesamtlich registriert, aber schon Mitglied in zwei Vereinen! Naja, eher Mitglied in einem Verein und einer kriminellen Vereinigung, aber egal.

Die fassungslose Stille, die sich beim Spiel gegen Wolfsburg nicht nur wegen des Ergebnisses, sondern vor allem wegen dieser Geschichte in Block B ausgebreitet hatte, wurde von einem der Beisitzenden mit den Worten gebrochen: »Dat muss ja ne Granaten-Olle sein, wenn der dat mit der aushält!«

Und mein Kumpel Scotty hob die Angelegenheit auf eine allgemeine Ebene: »Ehrlich, datt gibbet nur bei uns inne Gegend!«

Wir alle haben versprochen, bei der sittlichen Erziehung des Jungen zu helfen und halten ihm jetzt schon mal einen Platz in unserer Mitte warm.

 

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